Sonntag, 10. Juli 2005
Erkältung
In meinen Atemwegsorganen ist ein Feuer ausgebrochen. Es muss in meinem Hals nur so wimmeln von kleinen brutalen Tierchen, die sich in meine Mandeln verbeißen, meine Bronchien verstopfen und irgendein durchsichtig schleimiges Sekret in riesigen Mengen absondern, das ein wenig an Sperma erinnert, und das ununterbrochen meine Nase hoch wandert. Ich röchele und huste wie ein alter Mann, der seit mindestens 30 Jahren drei Päckchen Zigaretten ohne Filter pro Tag raucht. Wenn das die Strafe für alle meine Sünden ist, schreie ich hinaus: ICH BEREUE. ES WAR NICHT SO GEMEINT. SORRY. EHRLICH, KOMMT NIIIIIIE WIEDER VOR. Oh ich leide und friere so schrecklich. Meine Verfehlungen müssen ja wirklich zahlreich und furchtbar gewesen sein. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern was ich Schreckliches verbrochen habe. Obwohl ich zugebe das eine oder andere geht auf mein Konto. Allerdings erinnere ich mich nur undeutlich was das gewesen sein soll.

Wie alle wissen, leiden Männer ja unendlich viel mehr als Frauen unter grippalen Infekten (das muss mit diesem abgebrochenen Y-Chromosom zusammenhängen, ist eben irgendwie eine Defekt), und brauchen in diesen Zeiten der Schwäche viel Zuwendung von unseren Liebsten.

Brutales Schicksal. Hier lieg´ ich nun ganz alleine mit meiner furchtbaren Krankheit von der ich ja höchstwahrscheinlich nie wieder genesen werde. Cowboys würden jetzt eine letzte Zigarette rauchen (allein die Vorstellung lässt mich einen Hustenanfall bekommen), und ein wenig in die unendliche Ferne der Prairie schauen, um dann seufzend die Augen für immer zu schließen. Die meisten Cowboys sind im Wilden Westen nämlich an Erkältungen gestorben, weis doch jeder. Erkältungen sind eine der gefährlichsten Erkrankungen überhaupt und völlig unterschätzt in ihrer Letalität.

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Montag, 4. Juli 2005
Betriebsanleitung
Ich habe mir Petra gekauft. Petra gehört zur Gattung der Haushaltsgeräte und ist kein ausgewachsenes Sexspielzeug für Männer, wie man vielleicht denken könnte. Petra ist ein Universalmixer. Ich plane damit köstliche gesunde Getränke auf Milchbasis zu mixen. Vorher beschäftige ich mich gewissenhaft mit der Betriebsanleitung. Schließlich möchte ich nicht zum falschen Zeitpunkt auf den einzigen Knopf drücken, den die Maschine aufweist. Die Betriebsanleitung gibt wirklich viele nützliche Ratschläge. So soll ich den Mixer nicht mit in die Badewanne nehmen, egal wie lieb ich ihn habe. Auch soll ich bei laufendem Betrieb nicht versuchen mit der Hand kleine Reste von dem rotierenden Messer zu lösen. Außer man macht ein Erdbeershake, dann stimmt schon mal die Farbe. Und man soll das Gerät reparieren, wenn es defekt ist, oder reparieren lassen. Alles gute Ideen. Ich werde keine vollständige Aufzählung vornehmen um hier niemandes Geduld über Gebühr zu strapazieren.

Eigentlich kann Herstellern in Deutschland was die Produkthaftung angeht nicht allzu viel passieren, sollte eine Handlungsanweisung vergessen worden sein. Ganz anders ist das ja bekanntlich in den USA. Die Klagewut dort ist beachtlich. Mein Lieblingsfall betrifft den Käufer eines Wohnwagens. Dieser hatte sich in der eingebauten Küche einen Kaffee gemacht und sich dabei schrecklich verletzt. Der Wagen fuhr gegen ein Hindernis, da aus irgendeinem Grund, der sich zumindest dem Fahrer nicht unmittelbar erschlossen hatte, der Wohnwagen nicht in der Lage war während des Kaffeekochens auf der Fahrbahn zu bleiben, sodass das Lenkrad wohl ein wenig verweist vor sich hin schlackerte. Daraufhin hat der Fahrer den Hersteller auf beachtlichen Schadensersatz verklagt, da dieser ihn nicht vor den Gefahren gewarnt hatte, die in dem Gefährt auf ihn beim Kaffeekochen lauerten.

Ich stelle fest, dass ich doch leider phantasielos bin. Mir fallen solche Dinge einfach nicht ein. Ich habe aber dadurch verstanden, wie solche Warnhinweise, man solle doch seine Katze nicht in den Wäschetrockner oder in die Mikrowelle zum trocknen legen zustande kommen. Menschliche Phantasie ist einfach überbordend.

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Donnerstag, 30. Juni 2005
Initiative
In Berlin wird momentan in Vorbereitung der Fußball Weltmeisterschaft 2006 eine Initiative gestartet. Unsere Stadt soll schöner werden. Vor allen Dingen Freundlicher. Und internationaler. Und offener. Das scheint mir eine gigantische Aufgabe zu sein. Schwieriger als Steuerreform und Gesundheitsreform zusammen genommen. Das bedeutet ja nichts anderes als die komplette Aufgabe unserer Identität. Und das in Zeiten wo uns sogar die Erfindung der Currywurst abgesprochen wird.

Wat bleibt uns denn denn noch. Ick meene, ick bemüh mir ja schon dit mit den Dativ und so zu beachten. Aber wenn mich eener nachn Wech fragt kann ick dem doch nich einfach so Auskunft jeben. Der wees doch denn janich dat er in Berlin iss. Und denn dit mit den Englisch. Ick nehme jetzt an sohne Schulung teil, damit also wenn mich jemand wat fragt ick denn ooch antworten kann. Kann ooch schon wat. Also wenn mich jemand fragen tut: „Excuse me how do I get to the Olympia Stadium“. Saje icke: „Fuck off, PLEASE“. Passt immer und dit is praktisch Berliner Schnauze uff Englisch. Und wat soll diese Fragerei überhaupt. Können die denn nich lesen oder wat? Wozu jibbt it denn Stadtpläne.

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Donnerstag, 23. Juni 2005
Apotheke
Es mag Menschen geben, die meinen Besuch beim Friseur unter den geschilderten Umständen moralisch bedenklich finden. Ich gebe Ihnen recht. Ich würde mich sogar versteigen zu behaupten ich bin in dieser Hinsicht völlig gewissenlos, denn ich verfolge einen ausgesprochen perfiden Plan. Meine einzige Entschuldigung sind die Zeiten. Diese sind insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht sehr hart. Der Plan besteht darin den Friseur mit kleinen Tierchen zu überschwemmen und mich anschließend mit einem Bauchladen davor aufzustellen um Mittel gegen Kopfjucken zu verkaufen. Ich rechne fest damit, dass mir der Friseurladen meine gesamten Bestände zu exorbitanten Preisen aufkauft. Ich werde garantiert reich. Vorher muss ich mich allerdings noch selbst befreien von den kleinen Blutsaugern mit Namen Pediculus capitis, bevor mir diese Viecher nicht nur Blut sondern auch noch die restlichen Teile meines Gehirn heraussaugen. Nun dachte ich in unseren Gefilden gehört die Verbreitung dieser unverschämten Art von Parasiten der Vergangenheit an. Wenn man sie findet dann höchstens noch bei Obdachlosen. Und ich kann mich nicht erinnern mit einem geschmust zu haben. Woher also habe ich diese Viecher? Ich kann hier nur spekulieren und habe insgeheim eben diesen meinen Friseur in Verdacht. Sollte schon vor mir jemand den gleichen Plan gehabt haben. Habe ich mich bei meinem letzten Besuch angesteckt? Vor jeder Unternehmensgründung sollte immer ein Geschäftsplan erstellt werden in dem unter anderem auch Wettbewerber genauer untersucht und Alleinstellungsmerkmale herausgearbeitet werden. Offenbar habe ich hier gepfuscht. Vielleicht existiert schon ein Gewerbezweig der Schutzgelder von Friseuren erpresst indem mit Blutsaugern gedroht wird.

Mein nächster Gang nach meinem Friseurbesuch ist also folgerichtig ein Apotheker. Ich brauche ein Mittel gegen Läuse. An Pillendrehern gibt es ja keinen Mangel. In meiner näheren Umgebung im Umkreis von 200 m gibt es allein fünf zur Auswahl. Tja die Drogensucht ist eben ein echtes Problem unserer Gesellschaft.
Da es mir etwas peinlich ist ein Läusemittel zu kaufen, werde ich als Ablenkungsmanöver noch ein paar Dinge extra erstehen in der Hoffnung, dass das Insektizid in der Masse nicht so auffällt. Ich betrete die Apotheke mit meiner Liste. Selbstverständlich ist Apotheke wie immer gut besucht, besser als jede Kirche. Haben die Menschen denn nichts anderes zu tun als beim Apotheker herumzulungern. Nachdem ich an der Reihe bin schaue ich mich um. Hinter mir hat sich ebenfalls eine lange Schlange gebildet. Die Geschäfte scheinen gut zu gehen. Es gibt jetzt kein zurück mehr.
„Womit kann ich Ihnen helfen?“, lächelt mich eine sympathisch aussehende junge Frau an.
„Ich möchte gerne ein ähh, …. mmfdlhhhmmm?“
„Wie bitte, was möchten Sie?“
Ich beuge mich über den Tresen und sage: „Ich gebe Ihnen die Liste hier, stellen sie bitte alles zusammen und verpacken sie es mir hübsch.“
Sie nimmt die Liste und geht in den hinteren Teil der Apotheke mit ihren etwa 3500 Schubladen um alles zu besorgen. Von weit hinten ruft sie: „Das Gleitmittel, ist ihnen egal welche Sorte? Auf Wasserbasis?“
„Ja, ist egal, ich habe mit allen gute Erfahrung gemacht!“
„Und die Präservative, möchten sie die extra starken, die auch bei Analverkehr nicht reißen?“
Ich nicke und hoffe das geht nicht so weiter. Inzwischen hat sich die Schlange hinter mir aufgelöst und ist näher zu mir aufgerückt. Alle schauen mich freudig erwartungsvoll an. Ich spüre wie mir langsam warm wird. Ich hätte das Mittel doch lieber unter Kaugummis und Taschentüchern verstecken sollen. Jetzt fehlt bloß noch ein Bekannter oder Nachbar und mein Ruf im Viertel ist ruiniert.
„Das Mittel gegen Läuse, soll das gegen Kopfläuse sein oder gegen Filzläuse?“
Himmelhergottnochmal, gibt es denn überhaupt keine Diskretion mehr in diesem Land. Was diese selbst entblößenden Talkshows so alles anrichten. Aber immerhin scheint urplötzlich das Interesse der anderen Kunden etwas nachgelassen zu haben. Ich habe plötzlich viel freien Raum um mich herum. Um nicht zu sagen ich bin der einzige Kunde weit und breit. Alle scheinen noch etwas zu erledigen zu haben. Es fallen Rufe wie: „Komme gleich noch mal wieder.“ „Muss noch schnell zum Bäcker bevor der zumacht.“ Oder ähnliches. Schisser die. Und ausnahmslos jeder scheint einem unwiderstehlichen Bedürfnis sich zu kratzen anheim zu fallen.
„Ahh, ich sehe gerade es ist egal beide könne mit dem gleichen Mittel behandelt werden. Goldgeist forte. Ein altbewährtes Mittel.“
Die Apothekerin bleibt, ich kann es ihr nicht verdenken, drei Meter vor mir stehen und schiebt mit einer langen Stange wie ihn Croupiers am Spieltisch verwenden, das Paket in meine Richtung und fragt, wie mir scheint, etwas ängstlich ob ich eine genauere Anweisung haben möchte wie das Mittel angewandt wird. Ich schüttele den Kopf und sehe wie sie zusammenzuckt, das Gesicht verzieht und vor mir nach Spuren kleiner Tierchen sucht.

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Dienstag, 21. Juni 2005
Haariges
Es wird wärmer. Meine Haare wurden vier Monate nicht mehr geschnitten und in meiner unmittelbaren Umgebung wurden Fragen laut, ob ich ein Vogelnest auf meinem Kopf beherbergen würde. Ich nehme das mal ob meines ähnlich der Wirtschaft stark rezessivierenden Haarwuchses als Kompliment, und erwäge, bevor sich die in meiner Wohngegend zahlreich vertretenen Tauben auf mir häuslich niederlassen, den unangenehmen Gang zum Friseur. Auf mein wahres Motiv komme ich später noch zu sprechen. Ich gehöre zu der Kategorie von Menschen, die keine Schwierigkeiten haben sich beim Zahnarzt einer Behandlung zu unterziehen. Bei einem Friseurbesuch leide ich allerdings echte Qualen. Das hat mehrere Gründe. Einer ist historisch bedingt. Als Kind schickte mich meine Mutter im zarten Alter von 6 Jahren zum ersten Mal allein zum Friseur. Ich wurde dort sehr nett begrüßt, von einer angenehmen Frau in einen Salon geleitet wo mir die Haare nach der damals top aktuellen Mode geschnitten und geföhnt wurden. Leider gab es offenbar eine kleine Verwirrung bezüglich meines Geschlechtes. Zwar war der Haarschnitt wirklich gelungen. Lästigerweise wurde meine feminine Ader durch den Frauenhaarschnitt übermäßig betont. Ich wurde von den Haarkünstlern äußerlich in ein Mädchen verwandelt. Meine Mutter war mit diesem ersten Schritt in Richtung Geschlechtsumwandlung nicht einverstanden und ich musste ein zweites Mal zum Friseur zum nachbessern. Wenn ich daran denke schießt mir immer noch die Röte ins Gesicht. Das zweite Mal das mir etwas ähnliches passiert ist, befand ich mich in der Pubertät. Ein Alter wie jeder weis indem Geschlechterrollen sich verfestigen, Mädchen sich ihre unnötigen BH’s ausstopfen und Jungs ihren drei Barthaaren Namen geben und sich einen breiteren Gang aneignen, weil ihnen ihre übermäßig wachsenden Gonaden im Weg sind. Auch hier nahm sich eine Dame meiner an. Damals ließ man sich noch einen Termin geben. Wir vereinbarten einen uns beiden genehmen Termin und die Dame verabschiedete sich mit den Worten: „Gut dann bis Montag, Frau XXXX“. Ich schaute mich um ob ein Namensvetter hinter mir stand, murmelte etwas unverständliches und verließ das Etablissement um danach geschlagene 20 Jahre einen großen Bogen um jeden Friseur zu machen. Nach diesem Erlebnis arbeitete ich stark an meinem Gang. John Wayne schien mir die richtige Wahl. Auch einen Theaterbart zog ich mangels natürlicher Masse in die engere Wahl. Noch heute lasse ich mir bevor ich zum Friseur gehe immer einen Dreitagebart stehen um Verwechselungen vorzubeugen. Der zweite Grund meiner Abneigung von Friseurbesuchen liegt in dem unersättlichen Wunsch der Friseure während der nervenaufreibenden schwierigen Prozedur des Haareschneidens Konversation machen zu wollen. Ich persönlich versuche meinem eigenen Anblick im Spiegel möglichst auszuweichen, die Augen zu schließen und leise entspannende Formeln vor mich hinmurmelnd die Schnibbelkünstler zur Eile anzutreiben und zu loben, sodass alles schnell vorüber geht. Noch vor wenigen Jahren habe ich um den Gang zum Friseur zu vermeiden mir entweder die Haare selbst geschnitten, oder Freundinnen gebeten dies zu tun. Mit unterschiedlichem Erfolg. Ich bin jedoch was meine Haarpracht angeht nicht besonders eitel, gehe modischen Erscheinungen aus dem Weg und habe die einfache Formel, alles fingerbreit lang und hinten kürzer. Ziemlich einfach. Es ist in den Jahren auch nur ein einziger Haarschnitt misslungen. Die Freundin hatte mich noch gewarnt, sie könne das einfach nicht. Ich habe diese Warnung in den Wind geschlagen und ich muss sagen, ich hätte ihr nicht widersprechen sollen. Sie hatte wirklich Recht. Ich habe danach ausgesehen wie Prinz Eisenherz in einer gerupften Version. Auf der Strasse habe ich dermaßen mitleidige ungläubige Blicke auf mich gezogen, dass ich mich zu einer Nachbehandlung entschlossen habe. Passanten waren immer kurz davor mir Geld zuzustecken um mir zu helfen. Nur die Angst vor Ansteckung mit einer gefährlichen Krankheit hat sie davon abgehalten. Selbst die Verursacherin mochte sich nicht mit mir auf der Strasse zeigen. Die Beziehung war zu dieser Zeit einer starken Belastungsprobe ausgesetzt.

Seit es diese „Cut and Go“ Friseure gibt bei denen man sich nicht mehr anmelden muss und die den Charme von Busbahnhofswartehallen haben, gehe ich wieder zum Friseur. Ich liebe es in der Masse unterzugehen, mich in die Schlange von wartenden Schafen einzureihen, die gleich geschoren werden und allenfalls eine Nummer sind. Herrlich. Unangenehmerweise wissen das noch nicht alle Angestellten. Manche bemühen sich während des Gemetzels eine persönliche Bindung mit ihrem Opfer einzugehen. So auch die etwa 19jährige an die ich das letzte Mal geraten bin. Ich sah sie einmal an und wusste, bei dieser Frisur, die sie sich selbst hat angedeihen lassen ist sie entweder in einer Selbstfindungs- oder Selbstverwirklichungsphase. Es würde schwierig werden ihr ihre Kunstfertigkeit auszureden und mir nur die Haare zu schneiden ohne dass Sie den Versuch startet mir ein neues Leben zu schenken. Während des einzig wirklich angenehmen Teils des Haarewaschens, hielt sie sich noch zurück. Ich versuchte die kalte harte Kante des Waschbeckens zu ignorieren, immer in der Angst in den folgenden drei Wochen meinen Hals mit einer dieser den Kopf stabilisierenden Halskrausen verbringen zu müssen, und genoss die Kopfmassage. Fünf Minuten später nachdem ich meine Anweisungen bezüglich des Schnittes, von dem ich sicher war, dass sie diese entweder komplett vergessen oder ignorieren würde, gegeben hatte, kannte ich ihre gesamte Lebensgeschichte, samt Lebensplanung für die nächsten zehn Jahre, vorgetragen mit Berliner Schnauze. Ein Albtraum wird wahr. Ein Stoppen ist unmöglich. Und ich hatte fahrlässigerweise meine Ohrstöpsel vergessen. So wurde ich informiert, dass ihr Mann „Mausi“,(Kosenamen aus dem Tierreich sind ja bei allen sehr beliebt), und sie bald ein Haus kaufen werden und dann zusammen ziehen werden. Vielleicht hatte Mausi ja Glück und sie verschoss ihr Tageswortkontingent immer schon während der Arbeitszeit. Aber das Wochenende. Der arme Mann. Ihr Ehrgeiz ging dahin bei einem Starfriseur zu arbeiten. Gleichzeitig hatte sie die durchaus gesunde Einstellung, dass diese Stars auch nur Menschen mit Haaren sind vor denen sie keinerlei Ehrfurcht kannte. Nachdem wir das geklärt hatten sah sie sich selbstverliebt im Spiegel an und informierte mich, dass sie schließlich auch ein kleiner Star sei. Ich versuchte freundlich aber nicht allzu ermunternd zu lächeln und schloss die Augen. Sie bat mich diese zu öffnen um mir ihr Werk vorzuführen. Dabei nahm sie einen Spiegel, legte mir die Hand auf den Kopf und sagte: „So sieht es ganz gut aus, nicht wahr?“. Nun muss man wissen, dass ich mir im Lauf der Jahre mühsam eine kleine Tonsur angeeignet habe, an die ich mich langsam versuche zu gewöhnen. Ich dachte immer das erste was Friseuren beigebracht wird ist ihren Opfern ein Kompliment im Hinblick auf ihre Haarpracht zu machen. In der Regel indem die Stärke oder Fülle der Haare übermäßig gelobt wird. Hierzu gehört unbedingt bei mittelalten Männern jegliche Referenz auf weiße oder fehlende Haare zu vermeiden. Nicht meine Peinigerin. Zuerst dachte ich an einen Irrtum und fragte: „ Was meinen Sie mit Soooo sie es Gaaanz gut aus?“ Wieder bedeckte sei mein Haupt mit ihrer Hand und sagt: „Na so“. Eine Rache? Habe ich ihr Werk oder Sie nicht genügend gewürdigt? Vielleicht ist mir trotz meiner konservativen Erziehung zwischendurch ein „Halt die Klappe“ rausgerutscht. Gemerkt habe ich es jedenfalls nicht. Nach der obligatorischen Frage, ob ich noch „was rein“ haben will und meiner Antwort ich sei mir nicht sicher ob ich meine Halbglatze wirklich mit Haargel einreiben soll, brauche ich dringend frische Luft.

Nun sollte ich aber zu meinem eigentlichen Grund für diesen Friseurbesuch kommen. Dieser war nicht so sehr der Ausschmückung meiner beeindruckenden Gesamterscheinung geschuldet sondern hatte einen medizinischen Hintergrund. Ich habe Läuse, Kopfläuse. Diese sind bei kurzen Haaren viel besser zu behandeln. Dazu mehr im folgenden Teil.

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Donnerstag, 16. Juni 2005
Radfahren
Die Sonnenstrahlen scheinen in unseren Breitengraden im Sommer nicht nur unsere geliebte wenn auch mancherorts arg gebeutelte Erde, die Luft, und das Wasser zu erwärmen sondern auch die Gemüter zum kochen zu bringen. Die Sonne versucht sich direkt in unsere Gehirne zu brennen und für vielfältige Verwirrung der Sinne zu sorgen. Vielleicht haben Hüte oder Kopftücher doch ihre Berechtigung und stellen nicht nur ein modisches oder religiöses Accessoire dar, sondern sind ein bedeutsames Element, welches das Leben in menschlichen Gemeinschaften erleichtert. Schließlich sind Kopfbedeckungen durch extrem weitsichtige Propheten über die allseits mehr oder weniger bekannten Regelwerke in die Gesellschaft eingeführt worden. Zugegeben die Spannbreite von der minimalistischen Kipa über den verführerischen Schleier zu angeberischem Tschador und Burka ist ziemlich groß, und Kopfbedeckungen können natürlich ebenfalls zu einer Überhitzung des Hauptes führen. Wo das Optimum zwischen Sonnenschutz und Kopfboiler liegt kann nur durch eine streng wissenschaftliche Untersuchung zu Tage gefördert werden. Dazu habe ich leider keine Zeit. Auch fehlen mir hierfür die akademischen Grade. Eigentlich hat das auch nur sehr entfernt mit dem Folgenden zu tun.

Besonders gut ist das Phänomen der Hirnerwärmung im Straßenverkehr zu beobachten. Ich fahre fast das ganze Jahr über Fahrrad. Sogar im Sommer. Obwohl das nicht unbedingt ratsam ist. Die Wahrscheinlichkeit von einem Auto angefahren zu werden ist in dieser Jahreszeit gigantisch. Das muss einfach an der Sonne liegen. Oder aber es tritt für Autofahrer eine Gewöhnungsphase ein, da so viele Fahrradfahrer unterwegs sind, dass einzelne nicht mehr auffallen. Der eine oder andere Überfahrene spielt bei der Masse ja dann auch keine Rolle mehr.

Die folgende Szene kann wirklich nur im Sommer stattfinden. Ich fahre auf meinem Fahrrad eine Hauptstrasse entlang. Ein Auto fährt mit beeindruckender Geschwindigkeit von rechts auf die Kreuzung zu und bremst mit quietschenden Reifen. Ich schaue gewissenhaft in das Cockpit des Raketengefährts um festzustellen ob ich gesehen werde. Wir nehmen Blickkontakt auf. Ich schaue freundlich. Er schaut grimmig. Alles in Ordnung. Ich fahre weiter, das Auto ebenfalls. Es beschleunigt um mich auch wirklich zu erwischen. Das gelingt so gut, dass ich hübsch drapiert die Motorhaube als Kühlerfigur verziere. Der Fahrer steigt entrüstet aus dem Auto schaut besorgt auf seinen Lack und schnauzt mich an: „Was soll das denn?“. Mein Gehirn vibriert noch ein wenig nach, da ich sowohl die Motorhaube als auch die Windschutzscheibe ausgiebigen Belastungstests mit meinem Schädel unterzogen habe. Auch führen diverse geringfügige wahrscheinlich ausgesprochen interessante chemische Veränderungen in meinem Körper zu Zitterbewegungen meiner Gliedmassen. Ein sehr interessanter Rhythmus. Eine schöne Basslinie dazu und es könnte ein Hit werden. Ich lasse mich langsam vom Auto gleiten und frage ob der Fahrer sich auch nicht verletzt hat. Jeder weis wie gefährlich diese Karambolagen zwischen Fahrrad und Auto für den Kraftfahrer sein können. Ein zarter Hinweis meinerseits ob dieses hübsche Vorfahrtsschild an dem ich gerade vorbei gefahren bin mir nicht das Recht einräumt als erster die Kreuzung zu entjungfern, führt dazu das der Fahrer sich bedrohlich vor mir aufbaut und mich missbilligend ansieht. „Und wieso haben sie kein Licht an ihrem Fahrrad?“ Ich blinzele in die Sonne und sage: „Tut mir leid, ich kann Sie nur schwer verstehen, die Musik ist so laut.“ Schließlich hatte ich noch keine Zeit meine Kopfhörer abzunehmen. Ich werfe einen Blick auf ein modernes Kunstwerk aus Rohren, dass die gleiche Farbe zu haben scheint wie mein Fahrrad. „Gut ich muss dann.“, sagt der Fahrer und macht sich auf den Weg. In einem Anfall von künstlerischer Inspiration erwäge ich kurz sein Auto gemäß eines Aktionskünstlers der Sechziger ebenfalls zu Kunst zu kloppen, entscheide mich dann die Sache auf profane geradezu schnöde und langweilige Art gütlich beizulegen.
„Das Fahrrad braucht eine Reparatur, fürchte ich.“
„Und was habe ich damit zu tun?“
Ich versuche mich im Marketing, wende mein ganzes Verkaufsgeschick an und biete mein Fahrrad zum Neupreis an. Meine Wenigkeit insbesondere die sich immer stärker bemerkbar machenden Blessuren, die meinem ohnehin schon sehr gebrauchten Körper nun noch zusätzlich belasten, glaube ich nicht mehr in finanziellen Gewinn umwidmen zu können. Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass das Fahrrad nicht mehr soviel wert ist, wie noch vor fünf Minuten, aber ein Gebot von 10 € für einen Kaffee scheint mir doch nicht angemessen. Ich warte noch ein wenig ob noch einer der zahlreichen Schaulustigen mit bietet. Immerhin handelt es sich hier um einen echten Karambolasche. Ich muss daran denken für diese Fälle immer ein eBay Logo mitzuführen. Ich versuche es mit einer neuen Verhandlungstaktik und bete beiläufig den von mir für diese Fälle auswendig gelernten Bußgeldkatalog her. Mit durchschlagendem Erfolg scheint es, denn der Fahrer holt seinen Werkzeugkoffer und bemüht sich redlich mit Hilfe eines Bunsenbrenners und einigem anderen schweren Gerät die Stangen in Fahrradform zu pressen. Ich bin nicht wirklich glücklich mit dem Ergebnis.

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Mittwoch, 8. Juni 2005
Versagen
„Ich muss dir etwas Schreckliches erzählen“
„Was ist passiert?“
„Ich mache mir solche Vorwürfe.“
„Egal was es ist, es wird schon nicht so schlimm sein.“
„Wir haben versagt.“
„Wobei denn?“
„Unser Sohn hat gerade seinen Berufswunsch geäußert!“
„Und was will er werden, etwa Politiker, oder Rechtsanwalt?“
„Noch schrecklicher“
„Nun sag schon was hat er gesagt?“
„Er möchte Bankdirektor werden.“
„Das bricht mir das Herz, wie kommt er denn auf so was?“
„All die Jahre, die Mühen, die ganze Erziehung, alles umsonst. Dabei haben wir ihm doch immer das Kapital vorgelesen vor dem Einschlafen.“
„Er hat ja schon immer gerne Geld gezählt.“
„Bleibt nur die Adoption. Oder meinst du wir können da noch etwas geradebiegen?“
„Das glaube ich nicht. Er ist doch schon zehn.“
„Der Klassenfeind im eigenen Haus.“

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Montag, 6. Juni 2005
Kinobesuch
Noch immer ist ein Kinobesuch ein Erlebnis. Es gibt verschiedene Arten von Kinos. Da ist zum Beispiel das kleine Lichtspielhaus um die Ecke mit veralteter Technik in dem nur jeder zweite Klappsitz noch vertrauenswürdig genug ist einen Ausgewachsenen aufzunehmen, und meist nur einen Angestellten beschäftigt, welcher alle Aufgaben, die im Kino anfallen, übernimmt. Oder es handelt sich um Kinomultiplexe, die mehr einem Flughafen gleichen meist mit neuester aufwendiger Technik und einem ganzen Stab von Mitarbeitern, alles Facharbeiter. Ich war in einem Kinomultiplex. Der Einlass ist mehrstufig, Kauf der Karten an der Kasse, erste Kontrolle, zweite Kontrolle, Platzanweiser. Ich vermisse die Metalldetektoren, die ich von Flughäfen kenne und das Sicherheitspersonal, dass einen immer so nett begrabbelt. Aber es gibt eine große Zahl die Phantasie anregender Hinweisschilder. Voller Vertrauen verlasse ich mich auf die Anweisungen des Personals, was prompt dazu führt, dass ich nicht ganz in dem Kinosaal lande, in dem der Film vorgeführt wird, den ich gerne sehen möchte. Offenbar hatte der Kinosaalanweisungsspezialist den Film schon gesehen, war mit unserer Wahl nicht einverstanden, beschloss unsere Geschmacksverirrung zu ignorieren und kurzer Hand zu korrigieren. Nach einer kurzen 45 Minuten dauernden Einführung in die neuesten Entwicklungen internationaler Produkte, beginnt der Film. Da das Epos im 16. Jahrhundert spielt, bin ich durch das Auftauchen von Autos auf der Leinwand verunsichert. Ist das schiefgelaufenes Productplacement? Auch die Mode habe ich mir anders vorgestellt zu dieser Zeit. Gab es damals wirklich schon Nike Turnschuhe? Wir beschließen auf unserer Filmwahl zu bestehen. Nach einem kurzen schmerzfreien Wechsel in einen glücklicherweise ohne Laufband zu erreichenden Kinosaal, können wir aufatmen. Alles im Film wird mit Muskel, oder Segelkraft bewegt. Ein gutes Zeichen. Da der Film sich nicht wie erhofft entfaltet, man sollte eben dem Fachpersonal mehr Vertrauen schenken und sich nicht über die Anweisungen oder Vorschläge leichtfertig hinwegsetzen, beschäftigen uns andere als im Film angesprochene existentielle Fragen, ausgelöst durch andere zu spät Kommende. Wie verhält man sich korrekt im Kino? Lässt man beim Hindurchschlängeln durch eine Reihe jemanden eine Blick auf den Knackarsch werfen oder ist es besser das Geschlechtsteil in Augenhöhe zu präsentieren? Ich habe dazu ein wenig Literatur gesammelt. Die Meinungen gehen nicht wirklich auseinander. Wahrscheinlich haben alle von einander abgeschrieben. Dennoch schaue ich voller Neid auf einige der Formulierungen:

1) Drehe denen nicht den Rücken zu, an denen du vorbeischreitest. Wer seinen Platz aufsucht oder in der Zwischenpause in das Foyer geht, soll dies in der Art und Weise thun, daß er seinen Nachbarn zur Rechten oder Linken seine schönere Seite, die in den meisten Fällen mit der vorderen identisch ist, zuwendet. Als Herr, während man sich durch die Reihe hindurchschiebt, beide Hände in die Hosentaschen zu stecken und dabei gleichzeitig die Rockschöße hinten soweit auseinander zu nehmen, daß eine Fläche sichtbar wird, auf der die Buren und Engländer bequem eine männermordende Schlacht ausfechten können, ist mehr als unanständig.

2) Suche es zu vermeiden, ihnen auf die Hühneraugen zu treten. Dank der spitzen Stiefeln, die die strengste aller Gebieterinnen, die Frau Mode, geborene Laune, für uns erfunden hat, trägt heutzutage jeder eine Achillesferse spazieren, die meistens sich auf dem großen Zeh befindet. Selbst Dorfschullehrer, die an Geduld ihresgleichen suchen und ohne zu klagen und zu stöhnen im Tragen von Leiden schwerlich übertroffen werden können, verwandeln sich in rasende Ajaxe, wenn ein Herr, der über ein Körpergewicht von 150 Kilo verfügt und einen Fuß von der Ausdehnung eines Ruderkahns sein eigen nennt, ihnen mit bewunderungswürdiger Kraft und Ausdauer einen eingewachsenen Nagel noch tiefer in das Fleisch hineindrückt. Es ist dies ein Schmerz, im Vergleich mit dem selbst eine Operation beim Zahnarzt ein liebliches Gefühl ist, und niemand darf es einem getretenen Wurm verdenken, wenn er sich an seinem Peiniger vergreift. Nur solche, die sich verloben wollen, verlobt oder ganz kurze Zeit verheiratet sind, dürfen sich zum Zeichen ihrer Zuneigung gegenseitig auf die Füße treten. Bei allen anderen darf man diese Zärtlichkeit nicht ausüben. Hat man jemand den halben Fuß abgetreten, so hat man in höflicher Art und Weise seine Ungeschicklichkeit zu entschuldigen. Sehen wir, daß der, den wir traten, sich vor Schmerzen auf seinem Stuhl krümmt, und seine Beine, damit ihm ähnliches nicht wieder passiert, in die Höhe gezogen hat, so wäre es mehr als thöricht, ihn fragen zu wollen: »Habe ich Ihnen weh gethan?«
Damen, die einem Herrn oder einer Vertreterin ihres Geschlechtes auf den Fuß traten, pflegen sich sehr häufig gar nicht oder doch nur sehr oberflächlich zu entschuldigen, und doch kann auch der Tritt einer Dame zuweilen von Folgen begleitet sein, um die niemand den Gepeinigten beneidet.
Kinder, die mit den Erwachsenen im Parkett sitzen, sollten angehalten werden, auch in den Zwischenpausen auf ihrem Platz zu verbleiben, denn sie besitzen ein hervorragendes Talent darin, nicht auf dem Fußboden, sondern auf den Füßen ihrer Mitmenschen spazieren zu gehen.
[Baudissin: Spemanns goldenes Buch der Sitte. (vgl. Baudissin-Spemann, S. 517)]


Auch im Kino könnten Zuspätkommende sich bei den bereits Sitzenden entschuldigen und sich mit der Vorder-, nicht mit der Rückfront an ihnen vorbeischlängeln, seitlich Sitzende auf mehrfache Bitten der Platzanweiserinnen zur Mitte aufrücken und so die Füllung der Reihen vereinfachen,
Damen ihre Monstrehüte abnehmen, Liebespaare auf ein zärtliches Tête-à-tête verzichten und damit den hinter ihnen Sitzenden einen ungestörten Blick auf die Leinwand ermöglichen (die Kinositze stehen nämlich »auf Lücke«),männliche und vor allem weibliche Besucher ihre Konfekt-, Schokolade-, Bonbon- und Kaugummipackungen vor Beginn des Hauptfilmes öffnen, anstatt während der ganzen Vorstellung mindestens die umsitzenden fünfzig Besucher durch ununterbrochenes Geknister zu stören, die Besucher beiderlei Geschlechts darauf verzichten, ihrer Umgebung das Verständnis des Films durch geistreiche Kommentare wie »Jetzt küßt er sie!«, »Du, guck mal, wie der schießt!« oder »Mensch, Errol, paß auf, hinter dir!« zu erleichtern, die Besucher schweigen (eine nicht geringe Anzahl von Leuten ist nämlich - erstaunlicherweise! - in die Vorstellung gegangen, um dem Geschehen auf der Leinwand zu folgen, und nicht, um sich eine halbe Stunde lang die Beschreibung des Krachs anzuhören, den der Nebenmann im Büro hatte und unbedingt während der Vorstellung seiner Begleiterin erzählen muß), alle Anwesenden berücksichtigen, daß sich die Mehrzahl der Besucher den Genuß eines bescheidenen und verhältnismäßig billigen, vielleicht sogar des einzigen Vergnügens leisten, nicht aber sich über die Rücksichtslosigkeit anderer ärgern möchte.
[Graudenz: Das Buch der Etikette. (vgl. Graudenz-Etikette, S. 285-286)]

ZU BEACHTEN
Den Kunstgenuß des anderen nicht durch Schulmeistern stören.
Keine extremen Urteile - weder gute noch schlechte - herausposaunen.
Toleranz ist ein Kind der Phantasie.
[Leisi: Sprach-Knigge oder Wie und was soll ich reden?.(vgl. Leisi-Sprach-Knigge, S. 95)]

Wenn man die Reihe, in der man seinen Sitzplatz weiß, betritt, nachdem schon andere dort Platz genommen haben, so wendet man sich an die erste Person, die in dieser Reihe sitzt, und fragt höflich: »Gestatten Sie, bitte?« Handelt es sich bei den Neuankömmlingen um ein Paar, so wird der Herr diese Frage stellen. Die angesprochene Person wird sich daraufhin erheben, vielleicht sogar aus der Reihe heraustreten oder nur die Füße beiseite stellen, damit man leichter passieren kann. Man geht nun durch, nicht ohne sich zu bedanken und vor allem mit dem Gesicht zu dieser und den folgenden Personen gewandt. Da meist alle, die in der betreffenden Reihe vor einem sitzen, aufstehen müssen, damit man seinen Platz erreichen kann, wird man bis zum Schluß unter dem steten Gemurmel von »Danke sehr, danke vielmals, ...« vorwärtspendeln, bis man seinen Platz erreicht hat. Der Herr wird vorangehen und den »Weg bahnen«, die Dame nimmt den rechten Sitzplatz ein. Es sei denn, der linke bietet eine bessere Sicht, dann wird der Kavalier natürlich tauschen und sich, wie sonst auch, erst setzen, nachdem sich seine Begleiterin niedergelassen hat.
[Schäfer-Elmayer: Der Elmayer. Gutes Benehmen gefragt. (vgl. Schäfer-Elmayer, S. 196-198)]

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Montag, 30. Mai 2005
Schwimmbad
Nach langer Abstinenz habe ich mich wieder in ein Schwimmbad, ein Freibad, begeben. Es war sehr voll, da das Wetter von asphaltverflüssigender Qualität war und ganz Berlin offenbar den gleichen Gedanken hatte. Das Schwimmbad wurde von unsichtbaren ausgetretenen Traumpfaden durchzogen, and deren Rändern sich jugendliche Nixen den aufgepumpten stolzen Jünglingen präsentierten, die wie Pfaue ihr Rad schlagen. Unklar ist ob die Mädchen sich an die vorhandenen Wege legen oder die Promenaden durch die immer gleiche Paraden der Jungmänner ausgetreten werden.

Zwei Dinge scheinen momentan sehr en Vogue zu sein. Zum einen besprühen junge Männer ihre auserwählten Schönen mit Deodorant. Ich bin nicht ganz sicher welchem Zweck dies dient. Weitergehende soziologische Studien sind dringend geboten um hier Klarheit zu schaffen. Möglich wäre es, das das Männchen damit sein Revier markiert. Andererseits ist es auch denkbar das hiermit die Gerüche vorangegangener Rivalen getilgt werden sollen. Trotzdem scheint dieses spezielle Form des Balzens allen Beteiligten großes Vergnügen zu bereiten. Das andere Ritual ist das Rauchen von Wasserpfeifen, was dazu führt, dass das ganze Schwimmbad eingehüllt wird durch Schwaden von Vanille- Erdbeer-, Apfelrauch, gemischt mit dem einen oder anderen Aroma von selbst angebautem sibirischen Steppengras. Auch in diesem Fall machen alle Beteiligte einen extrem glücklichen Eindruck.

Eine Neuerung für mich ist eine Gruppe von in Kampfanzügen steckenden sehr beeindruckend aussehenden Sicherheitsleuten mit Armdurchmessern von der Größe meiner Oberschenkel, die von sabbernden Kampfhunden begleitet werden und das Gelände durchstreifen. Wahrscheinlich eine paramilitärische Einheit auf einer Übung. Auf ihrer Kleidung steht in großen Buchstaben SICHERHEIT. Die Mitglieder dieser Einheit versuchen mit den vielen Jugendlichen und Kindern ins Gespräch zu kommen. Vielleicht tauschen sie sich mit diesen über die neuesten Entwicklungen im Kampfsport aus. Wo immer sie Auftauchen ist Aufregung und Aufmerksamkeit gewiss. So wird die bürgerlich-sommerlich-faule Atmosphäre, die man aus Schwimmbädern kennt ein wenig aufgelockert. Trotzdem habe ich mehr Angst beim Betrachten dieser Eliteeinheit, die den Schwimmbaddschungel nach Feinden der demokratischen Grundordnung durchstreift, als vor Jugendlichen in der Adoleszenz.

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Donnerstag, 26. Mai 2005
Tangobanane
Bis zu dem Augenblick an dem unser Tanzlehrer mich mit ungläubigem Staunen und Kopfschütteln beiseite nimmt und mich von meiner wundervollen Geführten trennt, fühlte ich mich noch wie ein Tanzgott.

Ich finde er erklärt diesen komplizierten Tanz sehr gut. Sehr anschaulich. Die Metaphern, die sich bei ihm besonderer Beliebtheit erfreuen, stammen zumeist aus dem Militärischen oder dem Automobilbereich. So fällt oft das Wort Gabelstapler, manchmal auch Panzergefechtskopf, auch Autobahnen spielen eine große Rolle. Allerdings um die Erschrockenheit der Teilnehmer etwas zu mildern, wird sofort klargestellt, das der Gabelstapler nur Paletten aus leichtem Balsaholz transportiert und nicht etwa schwere womöglich rostige Metallkonstruktionen. Man merkt allen Gästen ihre Erleichterung spürbar an. Die Folgenden nehmen die Leichtigkeit des Balsaholzes als Kompliment für ihr Körpergewicht, die Führenden sind beruhigt, da das so angedrohte Folgendenstapeln eine luftige Note bekommt. Auch der Geschlechterkrieg muss nicht zwangsläufig ausbrechen. Die so gebrauchten Metaphern stehen in sehr reizvollem Kontrast zum schwermütigen Tango und bewahren uns davor uns allzu sehr von unseren Gemütsstimmungen leiten zu lassen, oder gar in Romantik zu versinken. Macht er sehr gut. Wunderbar. Manchmal jedoch begibt er sich mit seinen Metaphern auf neues Gelände. Er versucht sich den Bereich Obst und Gemüse genauso eloquent zu nähern, wie dem bisherigen technischen Geräten. Ich jedoch bin nicht so flexibel. Ich bin ein langsam denkender Mensch. Was also ist mit diesem Bananenschritt gemeint. Davon gleich zwei hintereinander, dann ein Wiegeschritt mit Drehung. Er sieht offenbar mein ratloses Gesicht und die Erklärung folgt sofort. Wir sollen uns vorstellen wir würden mit dem Auto wenden. Eine Dreipunktwendung. Wahrscheinlich hatte der Tanzlehrer nur Hunger, deswegen diese Vergleiche aus dem Obst und Gemüsebereich. Ich zumindest war kurzfristig verwirrt. Ich finde er sollte seine Linie schon durchhalten.

Trotz dieser unübertrefflichen Erklärungen, scheint es als ob ich einen ausgesprochen wichtigen Grundschritt verhunze. Doch hoffentlich nicht der Gabelstapler. Ich mache mir Sorgen. Meine mir Folgende ebenfalls, steht sie doch nun allein auf der Tanzfläche, der Tanzlehrer greift zum Äußersten und bittet mich zum Tanz. Ich habe noch nie mit einem Mann getanzt. Es fühlt sich ein wenig komisch an. Außerdem macht er nicht was ich will. Angeblich gebe ich falsche Zeichen. Und mein Rhythmusgefühl habe deutliche Mängel. Jetzt hat er sich aber disqualifiziert. Habe ich doch neulich erst einen Wochenendtrommelkurs belegt. Hat keine Ahnung der Mann.
Viel lieber möchte ich wieder zu meiner Auserwählten mit dem wunderbaren Lächeln und mit ihr herrliche Gabelstaplerbananen tanzen.

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