Montag, 31. Oktober 2005
Bochum Schülerlotsenwettbewerb
Ich bin ins Ruhrgebiet gereist ohne ausreichend vorbereitet zu sein. So hätte ich eine grosse Packung Insulin sehr gut gebrauchen können, hatte aber leider keine dabei. Nun ist mir das in keiner Weise vorzuwerfen, denn ich leide nicht an der Zuckerkrankheit. Die meisten meiner Drüsen arbeiten durchaus zufriedenstellend. Weiterhin hätte ich vorher ein paar Volkshochschulkurse in Dialekten, NICHT zu verwechseln mit der Hegelschen Dialektik, belegen sollen. Dies wäre der allgemeinen zwischenmenschlichen Verständigung sehr zuträglich gewesen.

Anlass der Reise war der „Bundeswettbewerb Schülerlotsen“. Dieser fand in Bochum statt. Ich selbst bin zu alt um mir bei diesem Wettbewerb noch Hoffnungen auf einen Gewinn zu machen. Um meinen brennenden Ehrgeiz diesen Wettbewerb betreffend zu befriedigen, habe ich vor 13 Jahren einen Sohn gezeugt und ihn in mühsamer pädagogischer Kleinarbeit, hier auch vor Experimenten nicht zurückscheuend, auf dieses Ziel hin vorbereitet, in der berechtigten Hoffnung mich eines Tages, wenn schon nicht selbst so doch indirekt, im Glanz eines Gewinners sonnen zu können. Dieser Wettbewerb ist nichts für Weicheier. Um meinen Sohn vorzubereiten und für den harten Wettkampf zu stählen, konnte ich nicht zimperlich mit ihm umgehen. Ein wichtiger Punkt des Wettbewerbs betrifft das Abschätzen von Entfernungen und Geschwindigkeiten. Also bemühte ich mich hier möglichst realitätsnahe Bedingungen für Übungen aller Art herzustellen. Glücklicherweise wohnen wir in einer Großstadt. Und so sind wir von Übungsplätzen verschiedener Schwierigkeitsgrade umgeben. Eine sehr gute Übung besteht im Überqueren der nicht weit entfernten achtspurigen Hauptstrasse, just zu dem Zeitpunkt eines Ampelausfalls. Zuerst war mein Sohn hier etwas zögerlich. Aber vor die Wahl gestellt von mir verprügelt zu werden oder die Aufgabe zu lösen schien es ihm nach kurzer Kalkulation von Wahrscheinlichkeiten und Chancen angebracht die Strasse zu überqueren. Inzwischen ist er hierin sehr geschickt, dies trotz der zahlreichen Unfälle in die er verwickelt war und der dadurch hervorgerufenen körperlichen Benachteiligungen. Manche Knochenbrüche sind nicht so gut verheilt wie es in seinem zarten Alter zu erwarten gewesen wäre. Sollte es noch einen Europawettbewerb geben werden wir als nächstes das Überqueren von Autobahnen üben. Soweit zu den praktischen Übungen. Da der Wettbewerb auch einen theoretischen Teil beinhaltet, habe ich ihn durch ein konsequentes Verbot jeglicher Literatur und einem vollständigen Fernsehverbot von überflüssigem Allgemeinwissen ferngehalten und mich auf die Bibel aller Wettbewerber die StVGO konzentriert. Er ist nun in der Lage sämtliche Paragraphen fehlerfrei zu rezitieren. Das führt natürlich dazu, das eine normale Unterhaltung mit ihm schwer zu führen ist. Aber man muss seine Ziele schon konsequent verfolgen. Die einzige Sendung, die er jeden Tag eine halbe Stunde sehen darf sind die Folgen des „ 7. Sinn“.

Der Wettbewerb wird auf verschiedenen Ebenen ausgetragen. Es gibt Bezirks- dann Landesmeisterschaften, die dann in den Bundeswettbewerb münden. In Berlin wurden die Bezirksmeisterschaften übersprungen und direkt die Landesmeisterschaft ausgetragen. Mein Sohn hat hier, wie nicht anders zu erwarten, mit Bravour gewonnen. Die anderen zwei Teilnehmer stellten für ihn keine Konkurrenz dar. Ich habe mir natürlich die Frage gestellt, warum es im Gegensatz zu den anderen Ländern in Berlin eine vergleichsweise geringe Zahl von Teilnehmern gegeben hat. In den anderen Ländern waren auf Landesebene 40-80 Bewerber keine Seltenheit, mal abgesehen von den Bezirksmeisterschaften, die in die hunderte gehen. Eine Erklärung hierfür wäre der Verkehr in Berlin. Wahrscheinlich sind die anderen, nicht so gut trainierten Berliner Schülerlotsen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit gestorben. Naja war ja für eine gute Sache.

Beim Bundeswettbewerb in Bochum war nun aus jedem Bundesland ein Wettbewerber am Start. Jeder Teilnehmer durfte eine Begleitung mitbringen. Entweder einen Trainer oder ein Elternteil. Für alle Kosten wurde aufgekommen. Sehr nobel. Hier kommt nun meine schlechte Vorbereitung die Dialekte betreffend ins Spiel. Ich habe versucht im Vorfeld die Fähigkeiten der anderen auszuloten. Dies ist mir nur bei den Brandenburgern gelungen. Die anderen konnte ich leider nicht verstehen. Ich bin mir nicht sicher ob diese wirklich Deutsch gesprochen haben oder sich in einer Geheimsprache verständigt haben, da sie meine Intention bemerkt haben.

Für alle Teilnehmer, Begleitungen und auch für die zahlreichen Funktionäre der Deutschen Verkehrswacht e.V. wurde eine Rahmenprogramm veranstaltet. Dies bestand hauptsächlich aus ununterbrochener Aufnahme von Speisen und Getränken zweifelhafter Natur sowie dem abendlichen Besuch der Bochumer Attraktion schlechthin, des Musicals „Starlight Express“. Nach dem Besuch des Musicals war mir sehr schwindlig und ich fühlte mich als hätte ich drei bis vier Schachteln Pralinen gegessen. Hier hätte mir ein wenig Insulin sicher sehr geholfen. Die Kostüme waren überwältigend in ihrer Farbenpracht. Da dies aber noch nicht reichte wurden alle Darsteller noch mit allerei bunten Lampen ausgestattet und die Zuschauer mit Lasern traktiert, die mich, so glaube ich zumindest, eines Teils meines Augenlichts beraubt haben. Der Gesang wurde von amerikanischen Darstellern auf Deutsch vorgetragen und klang wie deutscher Schlager von Howard Carpendale. Die Frauen trugen blonde Perücken und kurze Röcke wie die Prostituierten in Berlin auf der Oranienburgerstrasse, sowie Augenwimpern, die beim Lidschlag Windstösse bis in die Zuschauerränge auslösten und Geräusche dem Flattern von Tauben nicht unähnlich verursachten. Eine Handlung konnte ich nicht so recht erkennen. Aber das würde ich niemand vorwerfen wollen. Ich habe das ununterbrochene rasende Rollschuhfahren der Darsteller sehr gebannt verfolgt und zwischendurch mit dem Gedanken gespielt noch die eine oder andere Übung mit meinen Sohn in die Wege zu leiten und ihn zu bitten die Fahrbahn dort zu überqueren um die andere Teilnehmer schon mal ein wenig zu demoralisieren.

Ich habe die Chance genutzt und mir Bochum ein wenig angesehen. Dazu reichten die anderthalb Tage, die zur Verfügung standen völlig aus. Die Fussgängerzone hat einen hohen Widererkennungswert. Dann gibt es noch einen Bismarckturm sowie ein Bergbaumuseum. Nun sollte man meinen, dass in Bochum im Herzen des Ruhrgebiets und Bergbaus einfach ein stillgelegter Schacht zu einem Museum umgebaut wurde. Weit gefehlt. In Bochum hat man es sich nicht nehmen lassen, sowohl die Schächte künstlich anlegen zu lassen, bis hin zu angemalten Styropordecken untertage als auch einem Förderturm beachtlicher Aussmasse, der extra angeliefert wurde. Die Bochumer haben hier ganz offensichtlich von den Amerikanern gelernt.

Für die die es bis hierher geschafft haben. Ich kann voller Stolz sagen, das mein Sohn Vierter im Wettbewerb geworden ist. Die Mühsal all der Jahre war also nicht umsonst, sondern hat sich voll und ganz gelohnt. Es gab einen Geldpreis von dem ich als sein Manager 98% wie ich meine zu Recht beanspruche.

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