Donnerstag, 16. Juni 2005
Radfahren
Die Sonnenstrahlen scheinen in unseren Breitengraden im Sommer nicht nur unsere geliebte wenn auch mancherorts arg gebeutelte Erde, die Luft, und das Wasser zu erwärmen sondern auch die Gemüter zum kochen zu bringen. Die Sonne versucht sich direkt in unsere Gehirne zu brennen und für vielfältige Verwirrung der Sinne zu sorgen. Vielleicht haben Hüte oder Kopftücher doch ihre Berechtigung und stellen nicht nur ein modisches oder religiöses Accessoire dar, sondern sind ein bedeutsames Element, welches das Leben in menschlichen Gemeinschaften erleichtert. Schließlich sind Kopfbedeckungen durch extrem weitsichtige Propheten über die allseits mehr oder weniger bekannten Regelwerke in die Gesellschaft eingeführt worden. Zugegeben die Spannbreite von der minimalistischen Kipa über den verführerischen Schleier zu angeberischem Tschador und Burka ist ziemlich groß, und Kopfbedeckungen können natürlich ebenfalls zu einer Überhitzung des Hauptes führen. Wo das Optimum zwischen Sonnenschutz und Kopfboiler liegt kann nur durch eine streng wissenschaftliche Untersuchung zu Tage gefördert werden. Dazu habe ich leider keine Zeit. Auch fehlen mir hierfür die akademischen Grade. Eigentlich hat das auch nur sehr entfernt mit dem Folgenden zu tun.

Besonders gut ist das Phänomen der Hirnerwärmung im Straßenverkehr zu beobachten. Ich fahre fast das ganze Jahr über Fahrrad. Sogar im Sommer. Obwohl das nicht unbedingt ratsam ist. Die Wahrscheinlichkeit von einem Auto angefahren zu werden ist in dieser Jahreszeit gigantisch. Das muss einfach an der Sonne liegen. Oder aber es tritt für Autofahrer eine Gewöhnungsphase ein, da so viele Fahrradfahrer unterwegs sind, dass einzelne nicht mehr auffallen. Der eine oder andere Überfahrene spielt bei der Masse ja dann auch keine Rolle mehr.

Die folgende Szene kann wirklich nur im Sommer stattfinden. Ich fahre auf meinem Fahrrad eine Hauptstrasse entlang. Ein Auto fährt mit beeindruckender Geschwindigkeit von rechts auf die Kreuzung zu und bremst mit quietschenden Reifen. Ich schaue gewissenhaft in das Cockpit des Raketengefährts um festzustellen ob ich gesehen werde. Wir nehmen Blickkontakt auf. Ich schaue freundlich. Er schaut grimmig. Alles in Ordnung. Ich fahre weiter, das Auto ebenfalls. Es beschleunigt um mich auch wirklich zu erwischen. Das gelingt so gut, dass ich hübsch drapiert die Motorhaube als Kühlerfigur verziere. Der Fahrer steigt entrüstet aus dem Auto schaut besorgt auf seinen Lack und schnauzt mich an: „Was soll das denn?“. Mein Gehirn vibriert noch ein wenig nach, da ich sowohl die Motorhaube als auch die Windschutzscheibe ausgiebigen Belastungstests mit meinem Schädel unterzogen habe. Auch führen diverse geringfügige wahrscheinlich ausgesprochen interessante chemische Veränderungen in meinem Körper zu Zitterbewegungen meiner Gliedmassen. Ein sehr interessanter Rhythmus. Eine schöne Basslinie dazu und es könnte ein Hit werden. Ich lasse mich langsam vom Auto gleiten und frage ob der Fahrer sich auch nicht verletzt hat. Jeder weis wie gefährlich diese Karambolagen zwischen Fahrrad und Auto für den Kraftfahrer sein können. Ein zarter Hinweis meinerseits ob dieses hübsche Vorfahrtsschild an dem ich gerade vorbei gefahren bin mir nicht das Recht einräumt als erster die Kreuzung zu entjungfern, führt dazu das der Fahrer sich bedrohlich vor mir aufbaut und mich missbilligend ansieht. „Und wieso haben sie kein Licht an ihrem Fahrrad?“ Ich blinzele in die Sonne und sage: „Tut mir leid, ich kann Sie nur schwer verstehen, die Musik ist so laut.“ Schließlich hatte ich noch keine Zeit meine Kopfhörer abzunehmen. Ich werfe einen Blick auf ein modernes Kunstwerk aus Rohren, dass die gleiche Farbe zu haben scheint wie mein Fahrrad. „Gut ich muss dann.“, sagt der Fahrer und macht sich auf den Weg. In einem Anfall von künstlerischer Inspiration erwäge ich kurz sein Auto gemäß eines Aktionskünstlers der Sechziger ebenfalls zu Kunst zu kloppen, entscheide mich dann die Sache auf profane geradezu schnöde und langweilige Art gütlich beizulegen.
„Das Fahrrad braucht eine Reparatur, fürchte ich.“
„Und was habe ich damit zu tun?“
Ich versuche mich im Marketing, wende mein ganzes Verkaufsgeschick an und biete mein Fahrrad zum Neupreis an. Meine Wenigkeit insbesondere die sich immer stärker bemerkbar machenden Blessuren, die meinem ohnehin schon sehr gebrauchten Körper nun noch zusätzlich belasten, glaube ich nicht mehr in finanziellen Gewinn umwidmen zu können. Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass das Fahrrad nicht mehr soviel wert ist, wie noch vor fünf Minuten, aber ein Gebot von 10 € für einen Kaffee scheint mir doch nicht angemessen. Ich warte noch ein wenig ob noch einer der zahlreichen Schaulustigen mit bietet. Immerhin handelt es sich hier um einen echten Karambolasche. Ich muss daran denken für diese Fälle immer ein eBay Logo mitzuführen. Ich versuche es mit einer neuen Verhandlungstaktik und bete beiläufig den von mir für diese Fälle auswendig gelernten Bußgeldkatalog her. Mit durchschlagendem Erfolg scheint es, denn der Fahrer holt seinen Werkzeugkoffer und bemüht sich redlich mit Hilfe eines Bunsenbrenners und einigem anderen schweren Gerät die Stangen in Fahrradform zu pressen. Ich bin nicht wirklich glücklich mit dem Ergebnis.

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